Im digitalen Zeitalter sind alle Kulturen allen Kulturen zugänglich.
Theoretisch. Die Welt rückt näher zusammen. Theoretisch.

Was charakterisiert diese unsre Gegenwart mehr, als die zwei Begriffe
Information und Kommunikation? Jeder, der entweder gar keine oder zu viele Bücher gelesen hat, wird dies bestätigen.

Dieses Pamphlet ist keins dieser antifaschistischen Kampfblätter dessen Parolen und Beschimpfungen sich in selbstverliebten soziokulturellen
Verwicklung mit dem inneren Schweinehund abmühen, kämpfen, trinken, kampftrinken, gegen Armeen von Schatten.
Nein, dieser Text will auch nicht bevor er beginnt, schon vergeben, was
seine Funktion erfüllt. Er ist weder Rumreden um den heißen Brei, noch
einfach bloß Gerede. Und er ist auch keine Pointing-Out Instruction à la
"Neti-Neti." Nicht dies...nicht das...

Jahrhunderte geheim gehaltene Lehren tibetischer Meister sind bei Amazon frei erhältlich. Lebst du in einer Großstadt, choose your warrior: Sufi, Zen oder Yoga. Egal wie der Inhalt auch präsentiert werden mag, die Tatsache, dass die Vielfalt an Techniken, die dem Zeitgenossen zur Verfügung stehen, in kürzester Zeit explodiert ist. Wir haben psychologische Tricks und rhetorische Tipps, autogenes Training und Transaktionsanalysen, Mantras aus Kashmir, Videos zur
Veden-Interpretation, chinesische Gedichte, die Bibel als Ebook, den
Koran, die Torah und die "Channelings" von ein paar durchgeknallten
Streichelzoojüngern gleich gratis mit dazu.

Die Techniken, Tools und Mittel, deren Herkunft spirituelle, das heißt
geistig-geistliche Züge tragen ist immer eine Art konzeptuelle Software
vorgegeben, die gut auswendiggelernt erst installiert werden kann. Eine Art Registrierung des Herzens beim Server deiner Wahl. Bete Allah an, wenn du magst, aber du brauchst erst die rituelle Reinheit und dann gilt es die erste Sure des Korans vorzutragen, wenn du den "Vater im Himmel" anrufst hast du gehört, kannst du in Teufels Küche kommen, wenn du nicht an Jesus glaubst, gestorben für unsere Sünden, gekreuzigt und blutig verreckt uns zuLiebe. Wenn du nach dem Zazen das Hannya-Shingyo rezitierst und es dich anpisst, dass weder du noch irgend jemand anderes im Raum altjapanisch kann, wenn du es auch cool findest, chinesische Zeichen zu tragen, und erst an deinem Lebensende erfährst, dass du "Scheiße" um den Hals trägst, dann sei willkommen im Informationszeitalter, wo wir flatlinemäßig abdrehen, reden und reden, und die Information allen zugänglich ist. Und doch keiner weiß, wovon er redet.

Fakt ist, was hat Spiritualität überhaupt für einen Zweck heutzutage?
Die große Frage "wieso Religion nicht einfach verschwindet?" kann mit
allseitigem Gähnen und Ermatten über die Relativität der Welt ad
absurdum reduziert werden, aber wer auch nur eine der Abermillionen,
Myriaden Techniken oder Tipps, praktischen Anwendung je probiert hat, weiß, dass sie "funktionieren", was auch immer das im besagten Fall heißt.

Die Frage ist, wie binden wir die Erfahrung, die wir durch einerseits
spirituell "neutrale" Techniken wie z.B. die der Psychologie und
andererseits folkloristisch aufgemotze, geistig-geistliche Hängebrücken ins Selbst machen, in ein Zeit ein, wo an der Stelle des damals von Nietzsche ermordeten "Allerbarmers", wir unser eigenes Potenzial halbwach am Leben halten, damit wir es nie entdecken. Dieses Pamphlet ist kein Schauer negativer Zeitkritik. Aus dem Abfall lässt sich lediglich ihr Wegwerfer ableiten. Und wir sehen, dass das Paradies niemals verloren gegangen ist. Theoretisch? Die Praxis beweist das Gegenteil.

Dieses Pamphlet ist ein Aufruf zum Wegwurf innig-geliebter
Weltvorstellungen, mentalen Mantra-Texturen und allgemeinem Warten auf ein besseres Morgen, nicht dass wir es ohnehin nicht schon täten. Warum also verbiegen und den Tag mit "Pflichtgebeten" beginnen, wenn doch eh keiner mehr an Gott glaubt. Lasst uns wegwerfen, was nicht haftet, denn wenn am Ende wieder im Alltag das Ego seinen spirituellen Anstrich verliert, dann sind wir so heilig wie Hinz und Kunz. "Immer locker bleiben." Schön brav das Leiden aller lebenden Wesen einatmen, in Glück verwandeln und dem Buddha, dessen Namen wir immer noch nicht aussprechen können die Zeit zwischen zwei Meetings opfern.

Dieses Pamphlet macht sich nicht lächerlich über den Weg zu dem einem Gott, der Wahrheit, der Wirklichkeit, nondualer Realität, wähl deinen Namen für das Unbenennbare, aber er macht sicht lustig über die Reibung, die entsteht wenn längst nicht mehr postmoderne Zeitgenossen prä-relativierte Schleier zur Schau tragen, und doch insgeheim wissen, dass die Maskerade nichts hilft gegen die Sehnsucht. Zur Liebe, zur Wahrheit, die Hindernisse, die auferstehen, den Schmerz, die Trauer, den Hass.

Verschicken wir lieber unsere Seelen per Sms, wie uns der Daumen
gewachsen ist. Schreiben wir, wie wir fühlen, aufwärts in virtuellen Forumschlachten Schauen wir News im Internet, bis der Arzt oder der heilige Geist kommt. Rocken wir den Scheiß bei Rockkonzerten und Teknoparties, nicht weil wir dann "cool" sind, sondern weil es alles dazu gehört. Für diejenigen, die längst eingesehen haben, dass die Nichtexistenz einer höheren Anordnung oder Ausrichtung jeden einzelnen Augenblick ad absurdum führen würde, ist dieses Pamphlet gedacht.

Warum sich mit falschen Farben schminken, wenn wir unseren eigenen
Zeitgeist haben. So alltäglich wie Yakbutter und ein warmes Ofenrohr
sind uns Pay-TV und SMS. Wenn unser Gott, unsre Wahrheit, Wirklichkeit, Realität sich nicht in alledem findet, Jesus nur in der Kirche und nicht auf unserem Screen aufleuchtet wie ein "you got mail" und unser Handy kein Sanskrit kann, wozu dann meditieren, rezitieren und in geschlossenen Gesellschaften über dem Geruch von Räucherstäbchen von der "ekstatischen Einheit" fabulieren, die Krishna, Vishnu, Didelduh in manifester Form ist.

Wer bis hierhin gelesen hat und lacht, der weiß: Dieses Pamphlet ist
eine schillernde Illusion und ist ebenso weise wie verwirrt.
Wer sich aufregt, der begegnet einem Köder, der absichtlich zwischen
Zeilen ausgelegt wurde und einer Neudefinition von digitalem Diskurs
enstammt. Wo Wahrheit und traurige Realität sich nicht ausschließen. Wo der Keller unser kleinen, schwarzen Herzen ebenso heilig und nicht
heilig ist wie jeder dahergelaufene Großstadtmönch.

Quelle: Der absolute Imperativ.

Interpretation: psychologische Mechanismen, Augenblickgewissheit

Ausdruck: Leben, als wäre nichts gewesen, mit dem kleinen Unterschied,dass man eher bereit ist, Fremden zuzuhören, nicht allzuviel projiziert und weiß, dass Gott so absolut gewiss ist, wie wir uns über diese Aussage nicht gewiss sind, egal wo wir gerad sind, in Gedanken oder im Spielcasino.

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ENDE
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weiterführende Informationen:

- Wenn der Mutant spricht, der nichts will als lieben allen Hindernissen
und Meinungen zum Trotz:


- Wenn ein Licht auf das lustige Spiel der Lügen fällt, das wir
verkrampft verteidigen