Heute habe ich einen guten Freund wiedergetroffen, ein Soziologe auf dem Weg zum Doktorat. Wir haben uns viel über die Schattenseiten im wissenschaftlichen Betrieb unterhalten, die Arroganz, die Selbstgerechtheit mancher Denker, die selbst nicht mal ihren kleinen Fußzeh gedanklich umfassen.
Interessanterweise fanden mir des weiteren viele Parallelen zum Kunstbetrieb, dem selbstgerechten Künstler, der sein Ego buntgeschminkt im Blitzlichtgewitter paradiert, dem Publikum seinen eigenen unangefochtenen Weltschmerz, Größenwahn oder Selbstmitleid ins Gesicht schlägt und dann noch dafür Geld verlangt. Auf der anderen Seite widerum "Große Denker", die aus Angst vorm Nichtdenken Theorien entwerfen, die die Wirklichkeit so weit zerstückelen, dass man sich am Ende des Tages nur noch mit einem Haufen Scherben schlafen legen kann.

Weder die Kunst noch die Wissenschaft kann also aus einem Gefühl des Mangels heraus entstehen,d.h. natürlich kann sie es, aber so vollbringt sie niemals ihre tatsächliche Funktion, was für die erstere das Augestalten, Ausloten, Eintauchen in die Schönheit, für die zweitere
Ausmessen, Abwägen, Beschreiben EIN und derselben Wirklichkeit sein könnte. Witzig, dass der Archetypus "Künstler", dem des "Wissenschaftler" immer noch diametral gegenübersteht. Der
Wissenschaftler schimpft die Kunst als Träumerei und Müßiggang, der Künstler verhöhnt die Akribie und Systematik des "Wissenden" als Arroganz und Dummheit.

Dieser Eintrag geht also raus an alle Denker und Kreativen da draussen,
und gleichzeitig an meinen eigenen Denker und Kreativen hier drinnen:

Ihr Kinder des Hammers und Meißels, Schwester von Farben, Eltern von Videoclips und Wummerbässen, schreckt nicht vor der Selbstreflexion zurück, weigert euch nicht, über der bloßen Form eurer Werke auch ihre Ursachen und Motivation zu ergründen, die Notwendigkeit, just jene Worte zu sagen, gerade dieses Lied zu schreiben. Vielleicht ist es manchmal schmerzhaft den eigenen Schweinehund im Tageslicht zu sehen, den es bloß nach Ruhm und Beachtung lechzt, aber ihr habt die Wahl die Kunst zum Opfer für euer eigenes Selbstbild zu machen oder als Vertreter der Warheit hinter all dem Getue aufzutreten und Kanäle aufzudrehen,Frequenzen zu erschließen, auf der sich die Welt selbst begegnet.

Und ihr die ihr euch auf unzähligen Fußnoten zu neuen Terittorien fortbewegt, ihr Auswendigwisser astronomischer Werte, lebendiges Mobiliar von Stadtbibliotheken, schreckt nicht vor dem Blick nach innen zurück, weigert euch nicht, eure Träume und Gefühle, Ahnungen und Stimmungen als ebenso der Wissenssuche würdiges Gebiet zu erschließen. Vielleicht ist es manchmal "banal" oder gar irrational, die dynamische Komponente des Menschseins miteinzubeziehung in elegante Gleichungen, aber ihr habt die Wahlt die Wissenschaft zum Denkmal eurer eigenen Sturheit zu machen, Urteile mit Kettensägen zu fällen, oder als Kartograph der begehbaren Welt Blaupausen zu entwerfen, die jedem einzelnen helfen, sich leichter in all der Komplexität zu recht zu finden, und dem ein oder anderen vielleicht sogar den Schlüssel gibt,der ihn aus selbstgezimmerten Gefängnissen befreit!

Ihr alle, seid herzlich eurer Verwandtheit gewiss.
So sputet auf zu neuen Ufern und bauet Brücken,
die einer allein nie zu schaffen verstünd