Ich hatte einen Traum. Die Hauptstadt der BRD 2006, fiel zurück in einen Alptraum, dessen Wunden bis heute nicht völlig ausgewaschen sind, deren Wahnsinnige und Opfer bis heute vom Mantel des Schweigens verdeckt sind; Eine kollektive Massenhalluzination, bei der der Einzelne kaum mehr Schuld zu tragen scheint als der Lehrling, der die Befehle seines Meisters ohne Widerrede ausführt und doch zogen Millionen von verblendeten Befehlswilligen eine tiefe Furche in die Zeit, deren Abgrund bis zum gleißenden Untergeschoss der Erde reicht; so wie viele Einzelne nur den kürzesten Weg zum Ziel suchen, doch die Masse der Einzelnen vereinigt einen Trampelpfad mitten durch die wilden Rosen schneidet, Geranien unter dem Absatz zertrampelt, mit Panzerketten Gänseblümchen und Lilien plattmacht und kein Einzelner verantwortlich sich fühlt, da er nur einer von Millionen ist, der den vorgetreteten Wegen folgt.

#1

Auf verlassenen Hinterhöfen begegne ich einer alten Jugendliebe. Ein schwarzer, kleiner Hund, der mich begleitet, schießt wie ein Kugelblitz in Richtung eines hochumzäunten Fußballfeldes. Wir reden über alte Zeiten. "Weißt du noch als?", "Damals.", verzücktes Entsinnen roter Gemäuer, backsteinere Zeugen von Raum und Zeit. Der Hund ist weit weg, ein scharfer Blick zoomt die Szene heran; Die Fußballmannschaft hat ihn bellend in ihre Strategie integriert, er steht kläffend zwischen Tor und Wart, während das Rund ballistische Umlaufbahnen ins Netz nimmt. Das Geschrei ist groß, das Gegröle noch größer. Und doch stehn nicht mehr als Elf Personen auf dem Feld, vor einem, einzigen Loch. Eigentore sind da allerletzte Sorgen. Die Blicke sind feurig und kalt, die Bewegungen im gemeinsamen Ziel vereint. Der Hund bellt aus einem Schlunde wie der dreiköpfige Zerberus, vierbeiniger Vertreter des Teufels, und dass er mich einst eskortierte, scheint nie ferner als jetzt. Ein Blick schnappt zurück, nimmt den Zoom aus dem Maschendrahtzaun, zurück in das Gespräch mit meiner Jugendliebe. Was sie sagt, ist nicht wichtig. Wir gehen weiter, das ist was zählt. Schritt für Schritt durch verlassene Hinterhöfe, die durch Quergebäude und Seitenflügel in Hinterhöfe münden. Groß und kalt türmen sich die Altbauten zu unseren Seiten, die Fenster sind zerbrochen, verstaubt, ohne Hinweis auf ein Leben hinter den Scheiben.


#2

An einer Currywurstbude treffe ich auf einen Haufen Musiker, elektronische Frickelfreaks, analoge Akkordspezialisten mit dem ein oder anderen Faible für Gratwanderungen in klangfernen Gefilden wie der Malerei, der Dichtkunst und Currywurstorgien. Ein Nebel senkt sich über uns. Als er sich löst, sind die Wände der Bude größer um uns rum gezogen. Wir sitzen hinter Bänken. Vor uns steht ein Professor an der Tafel. Wir lernen über die "Psychologie des Gewissens", abgedroschene Phrasen über Scham und Schuld nehmen im Nicht-Mitschreiben die klangliche Gestalt eines gurgelnden Bergbachs an. Mein Nachbar flüstert mir wohlwollend sein Gefallen ins Ohr. Der Professor hält in seinem Redefluss inne. Er mustert uns eines Blickes, der halb über seine Brillengläser hinweg, halb unter ihnen hindurchfällt. Dann schießt er um sich mit Anklagen, Salven der angeblichen Nicht-Würdigung seiner Person, fehlenden Wertschätzung seiner Lehrinhalte, und dann sitzt er schon auf seinem Mofa, und hinter ihm anstatt den Abgasen, bläst uns bloß der beizende Wind seiner Moralpredigt in die Augen.


#3

In meiner Wohnung fehlt ein Zimmer. Das andere ist halb ausgeräumt. Pc und Musik steht noch. Meine Jungendliebe badet im Badezimmer, als die Haustür mit einem Knall aufspringt. Eine Gruppe von mehr als einem Dutzend, stahlnackiger Knüppelschwinger bewegt sich zielstrebig auf mich zu. Schon hänge ich an der Wand, Finger quetschen meine Kehle und ich bemerke den federlassenden, schwarz zerzausten Adler auf ihrer Brust. Die Meute kennt keine Gnade. Ihre Köpfe sitzen auf einzelnen Hälsen, doch nur ein Hirn bestimmt über sie. Man trägt mich hinaus aus meiner Wohnung, hinter mir vernehme ich Schreie, trampelnde Stiefel im Badezimmer, doch ich liege schon in meinem Sarg. Sie schleifen mich, den Kopf auf dem Asphalt durch die Straßen wie einen gestrandeten Fisch. Der Sarg ist durchsichtig, so dass ich die Abertausenden von fahnenschwingenden, einstimmig krakeelenden Menschenmassen links und rechts an mir vorübereilen sehe, alle einem einzelnen Ziel entgegen. Wer stehenbleibt, wird erschossen. Wer nach alternativen Richtungen sich wendet, wird zertrampelt. An einem Stromkasten weht ein zerschlissenes Pamphlet, dass für den linken Parteigottstag der Gottlosigkeitspartei wirbt. Jemand bleibt stehen, macht Anstalten zu lesen, wird vom Marsch der Vorübereilenden mitgerissen, wird krakeelend in die Luft geworfen und es führt kein Weg zurück. Das ist mein Ende. Ich ergebe mich, erst zögerlich, dann in Erleichterung. Widerstand ist zwecklos.

#4

Man nähert sich dem Stadtkern. Mein Sarg rauscht auf einer schlecht beleuchteten Landstraße dahin. Die Menschen scheinen weniger geworden zu sein, als plötzlich aus dem Nichts die russische RoteArmee mit Panzern, Artillerie und Jeeps mir entgegenschießt. Dann wieder Dunkelheit. Der Straßengraben ist da, doch man sieht ihn nicht, als vor mir wieder ein uniformierter Fackelzug auftaucht, Tausende von Gesichtern im Scheinwerferlicht aufblitzen, blau schäumend die Mordeslust in die Nacht aufsteigend auf mich zu, meinen Körper umschließend wie Wasserfronten, um dann in einem Augenblick hinter mir zu verschwinden. Allein die Richtung der Wahnsinnigen kommt mir spanisch vor. Mein Tod ist längst Tatsache geworden.

#5

Angekommen im Stadkern, Berlin Mitte, stehe ich da. Von Markständen, die zwischen den Ruinen der Museumsinsel aufgebaut sind, schallt es mir entegen: "Allah uh Akbar!", Gott ist großartig! Eine alte Frau hinter zwei Pfannen, eingewickelt in wallend, farbenfrohe Leinen ruft mir zu: "Allah uh Akbar!" Unisono erschallt es aus allen Richtungen: Allah uh Akbar. Man kocht, man sitzt auf Kissen, schmaucht Wasserpfeife in den Trümmern der Hauptstadt, kein magersüchtiger, mordlustiger Adler weit und breit... und ich wache auf in den Trümmern eines gestrigen Selbstverständnisses am Leben zu sein...